Der Zeitwandler
Der Zeitwandler

© Dark Wulf

Der Zeitwandler

Es war bitterkalt in dieser Mondlosen Nacht. Immer noch fiel unaufhörlich Schnee auf den Permafrostboden vor der kleinen Höhle in der das kleine Lagerfeuer nur noch spärlich brannte. Draußen konnte man die Umgebung nur noch erahnen da der Schnee zu dicht war. Wäre man jetzt dorthin gegangen hätte man sicherlich binnen weniger Stunden den Tod gefunden, da man die Orientierung verloren hätte.

Die kleine Sippe hatte sich rechtzeitig vor dem Sturm in Sicherheit gebracht und würde hier die Nacht verbringen, bevor sie am nächsten Morgen weiter ziehen würden. Sie waren Nomaden und versuchten weiter nach Süden vorzustoßen. Ihre lange Reise hatten sie vor etwa fünf Monaten begonnen und würden noch ein gutes halbes Jahr unterwegs sein, so hatte es ihr Ältester ihnen vor ein paar Nächten mitgeteilt. Jarus Crai konnte immer noch keinen Schlaf finden und wälzte sich unruhig hin und her.

Blinzelt nahm er wahr, dass die anderen seiner Sippe schon eingeschlafen waren und manche von ihnen Schnarchlaute von sich gaben. Nach einer Weile rappelte er sich von seinem Lager auf und warf dabei die Felldecke zu Boden. Leise schlich er in Richtung des Höhleneinganges und blickte abschätzend zu den anderen hinüber. Beruhigt stellte er fest, dass sie immer noch fest schliefen.

Dann war er am Eingang angekommen und fühlte fast augenblicklich die Kälte, die ihm entgegen schlug. Er kniff die Augen zusammen und hielt seine Hand schützend über die Augen. Er konnte nur den Wind hören und das leise schnarchen, das aus der Höhle drang. Seit Wochen hatten sie keine Mammuts mehr gesehen oder ihre Laute gehört. Die Jäger konnten auch seit geraumer Zeit keine ihrer Fußspuren ausmachen, was ohnehin durch die ständigen Schneefälle erschwert wurde.

Er war noch zu klein um als Jäger der Sippe zu agieren. Aber er wusste das der Tag kommen würde an dem er sein Leben für das ein oder andere Stück Fleisch riskieren müsste. Schon jetzt hatte seine Mutter ihn gelehrt das nur die stärksten in dieser Welt überleben würden. Sein Vater war offenbar nicht stark genug gewesen. Er war vor etwa einem Jahr bei einem Säbelzahntigerangriff ums Leben gekommen. Seit dieser Zeit hatte schleppte Jarus ein Gefühl der Leere mit sich herum das er manchmal nicht unterdrücken konnte.

Das Feuer erlosch und ließ einen kleinen Aschehaufen in dem aus Steinen gelegten Kreis zurück. Er wandte sich um und war nach wenigen Schritten vor diesem angekommen und sah in die schwach glühende Masse. In diesem Augenblick überkam ihn ein heftiger Schmerz, der sich durch seinen gesamten Körper zog. Schweiß rann ihm über die Stirn und seine Hände fingen an zu zittern.

Dann sah er einen unbekannten Mann vor seinem geistigen Auge, der ein Messer hoch erhoben in der Hand hielt und schrie. >> Jarus was hast du ? << rief seine Mutter aufgeregt, die plötzlich hinter im gestanden hatte. Sie hatte offensichtlich bemerkt, das er sich von seiner Schlafstätte entfernt hatte. Er fiel nach hinten in die Arme seiner besorgten Mutter, die ihn sanft auf mehreren Fellen ablegte.

Auch die anderen waren inzwischen aufgewacht und sammelten sich um die beiden. Auch der Älteste war da und legte prüfend seine Hand auf die Stirn des Jungen. >> Er hat Fieber und es ist schwer zu sagen ob der diese Nacht übersteht << sagte der Alte ernst. >> Sind noch welche von den heilenden Kräuter übrig ? << fragte Jarus Mutter mit brüchiger Stimme den Ältesten und dabei schossen ihr Tränen in die Augen. >> Ich werde nachsehen. << antwortete dieser nachdenklich.

Nachdem er in den zahlreichen Beuteln, die in der Ecke der Höhle lagen gewühlt hatte, kehrte er mit einem kleinen Bündel wieder das er vor sich ausbreitete. Darin waren mehrere schwarze Knollen, die an der Oberfläche verschrumpelt waren. Daneben lagen noch rötliche Steine und dünne Pflanzenfasern, die Grasgewächsen ähnelten.

Der Weise holte ein scharfes Steinmesser unter seinem Fell, das er als eine Art Umhang verwendete hervor und begann damit die Knollen zu zerteilen. >> Hammon werden sie ihm helfen ? << erkundigte sich die junge Frau, die nicht mehr als 20 Jahre alt sein mochte. Doch der Alte murmelte vor sich hin und war in seine Tätigkeit vertieft.

Die Mutter nahm es ihm nicht übel das er ihr nicht antwortete, denn sie wusste innerlich, dass er alles versuchen würde um ihren Sohn zu retten, der ihr mehr bedeutete als alles andere auf der Welt. Ihr Junge hatte die Augen geschlossen und stöhnte vor Schmerz.

Er sah ganz bleich aus und zitterte immer noch am ganzen Leib während ihm der Älteste die jetzt entstandene breiige Masse einflößte. Einige Männer waren gerade dabei das Feuer wieder zu entfachen. Nach einer Weile war ihnen dies auch gelungen und es warf flackernde Schatten an die Wand. Im Fieberwahn nahm Jarus mit verschwommenen Blick diese als die Geister der Verstorbenen wahr, die ihn in ihr Reich holen wollten.

Oder waren sie es wirklich ? Er konnte sich daran erinnern wie ihm der Weise von den Geistern erzählt hatte, die über ihre Sippe wachten. Aber es gab auch Geister die Jemanden in die dunkle Welt hinab zerren konnten und einem das Licht des Lebens entrissen. Welcher Seite gehörten diese an ? In ihm stieg die Übelkeit auf und er konnte gerade noch den Würgereiz unterdrücken. Er konnte kaum noch seinen Körper spüren und fühlte sich hin und her gerissen.

Langsam bemerkte er nach ein paar Minuten, wie ihn die inneren Kräfte langsam verließen und er wollte einfach nur noch einschlafen und diese Schmerzen vergessen. Der Älteste packte jetzt das Bündel wieder zusammen und wirkte dabei irgendwie abwesend. >> Im Namen der Sippe muss ich dir schweren Herzens eine wichtige Frage stellen. << sagte er wenig später und blickte dabei tief in die Augen der jungen Mutter.

>> Welche ? << hakte sie nach, konnte jedoch erahnen worauf der Alte abzielte. Sie hatte diese Frage eins beantworten müssen als ihr Mann gestorben war und sie neben seinem zerissenem Leichnam gekauert hatte. >> Bitte nicht. << flehte sie weinend. Doch der alte weise Mann mit der steinernen Miene blieb hart und bat sie er darum ihm mitzuteilen, welche Teile sie von dem Jungen als ihre Nahrungsration haben wolle.

Als Mutter standen ihr nach dem mündlichen Recht der Sippe zwei Teile mehr zu als den anderen. Dennoch wollte sie ihn noch lange nicht aufgeben und so weigerte sie sich diese Frage zu beantworten. Aber würde ihr auch diese Entscheidung nicht weiterhelfen, da der Älteste die Wahl auch selbst fällen durfte, wenn die Mutter nicht dazu in der Lage war.

So war es seit Generationen Brauch gewesen, da es sich die verstreut lebenden Sippen nicht leisten konnten potenzielle Nahrungsquellen außer Acht zu lassen. Zu jener Zeit war es üblich Alte und Schwache die nicht lange durchhalten konnten zum Wohle der Gemeinschaft zu opfern. Dazu zählten auch verstümmelte oder andere Dinge, die das tägliche Leben eines Einzelnen so sehr Einschränkten, das er dieser der Sippe keinen Nutzen mehr bringen konnte.

Es ging Jarus Crai zusehend schlechter. Die Pflanzen, die ihm der Älteste gegeben hatte schienen keine Wirkung zu zeigen. Jarus Mutter hatte in dieser Nacht nicht mehr weiter geschlafen, sondern blieb an seinem Lager sitzen und schmolz von Zeit zu Zeit Schnee in einer kleinen Schale über dem herunter gebranntem Feuer, das immer noch ein bisschen Wärme abgab. Dann tränke sie größere Fellfetzen in dem Wasser und legte diese auf Jarus Stirn. Leise summte sie dabei ein Lied, das sie Jarus Crain auch früher immer vorgesungen hatte wenn es ihm schlecht gegangen war.

Zwei der Jäger waren schon früh an diesem Morgen aufgebrochen und sollten in ein paar Stunden wieder zurück sein. Sie hoffte das sie genug Nahrung mitbringen würden um die Sippe für wenigstens eine Woche versorgen zu können. Die Vorräte waren denkbar knapp und würden innerhalb weniger Tage verbraucht sein. Vor der Höhle hatte es inzwischen aufgehört zu schneien und der Alte war nach draußen gegangen.

Dieser hatte vor der Höhle einen großen Felsen ausgemacht und schob den abgelagerten Schnee beiseite. Dann hatte er sein Messer gezogen und schärfte dessen Klinge am Gestein. Deutlich konnte man das scharrende Geräusch wahrnehmen das die Bewegungen verursachten. Nach einiger Zeit hielt der Weise die Schneide prüfend vor sich und stellte fest das das Messer jetzt für seine kommende Aufgabe scharf genug sein würde.

Entsetzt sah Jarus Mutter diesem Schauspiel aus dem Unterschlupf heraus zu und verbarg einen scharfkantigen Stein unter ihrer Kleidung. Ein beklemmendes Gefühl hatte sich in ihr breit gemacht und sie sah zu ihrem Sohn hinüber der immer noch weggetreten da lag und immer noch sehr blass und schwach aussah.

Sie würde ihn mit ihrem Leben verteidigen auch wenn sie sich sicher war, das sie gegen die gesamte Sippe, die immerhin mit ihr und ihrem Sohn 9 Mitglieder zählte, ankommen würde. Dennoch würde sie sich ihnen entgegen stellen, wenn es für ihren einzigen Sohn ein paar Minuten mehr bedeuten würde. Nach einigen Stunden bangen Wartens waren die Jäger angekommen und hatten keinen großen Erfolg zu verzeichnen gehabt.

Das einzige was sie erlegt hatten war ein kleines Kaninchen, welches nicht einmal ausgewachsen war. So kam es das zwei Frauen aus geschickt wurden um nach Nüssen oder anderen essbaren Pflanzen zu suchen. Diese kehrten gegen Abend wieder zurück und hatten jeweils zwei Nüsse mitgebracht was in allen eine große Enttäuschung hervor rief. So dann wurde jedem seine Ration zugewiesen und so langsam wie möglich gegessen. Als dies geschehen war trat der Weise an Jarus Crais Mutter heran und teilte ihr seine Entscheidung mit.

>> Ich werde ihn Morgen früh den Traditionen entsprechend gerecht aufteilen, wobei du laut mündlichem Recht bevorzugt wirst. << erläuterte er langsam aber bestimmt. >> Ich flehe dich an. Kannst du nicht … << >> Ich würde es niemals wagen unsere Tradition in Frage zu stellen und du solltest es auch nicht Sihe Beja. << erwiderte der Alte Mann ärgerlich. >> Wieso könnt ihr nicht einsehen das der Einzelne in einer Gemeinschaft auch wichtig ist, der die Sippe unterstützt damit sie …

>> Er nützt uns nichts mehr und jeder Tag der verstreicht ist ein weiterer Tag mit vergeudeter Nahrung. << donnerte der Weise empört durch die Höhle. Ein paar Männer waren dazu gekommen und bauten sich hinter dem Alten auf und schienen damit ausdrücken zu wollen, das sie dem Ältesten zustimmten. Einer hatte sich mit einem Speer bewaffnet und hielt diesen krampfhaft in seiner rechten.

Sihe rückte näher zu ihrem schwach atmenden Jungen und lockerte unauffällig ihren Fellumhang. In den Augen der anderen sah sie die Gier und sie würden Stellung beziehen, wenn es so weit war. Ein Windhauch vom Eingang her fuhr durch ihre verklebten Haare. Wütend verfolgte sie jede Bewegung die die anderen taten. Diese hatten sich jedoch vorerst beruhigt und zogen sich zurück in die Höhle.

Der Alte hatte sich auch umgewandt und bezog wieder seinen Platz im hinteren Teil des Unterschlupfs. Sihe Beja atmete schnell und ihr Herz schlug immer noch rasend. Wieder fiel ihr Blick auf Jarus Crai dann auf ihre zitternden Hände. Behutsam legte sie ein paar Felle auf den Körper ihres Sohnes und prüfte die Temperatur.

Seine Stirn war glühend heiß und er schüttelte sich in Fieberkrämpfen. Verzweifelt und übermüdet ließ sie sich neben ihm nieder und versuchte gegen ihre Müdigkeit an zu kämpfen. Nach einiger Zeit wurde sie jedoch von ihrer Müdigkeit übermannt und schlief ein. Sie träumte von einem sonnigen Tag am Rande eines dichten Waldes. Ihr Mann war von der Jagd zurückgekehrt und sie aßen gerade genüsslich das zarte Fleisch.

In ihren Gesichtern konnte man die Freude sehen, die sie dabei hatten. Doch dann stürmte ein Säbelzahntiger unerwartet aus dem Wald hervor und riss ihren Mann hinterücks von den Beinen. Starr vor Schrecken musste sie mit ansehen, wie ihr Mann auseinander gerissen wurde. Blut besprenkelte ihren fellenes Oberteil und bildete unansehnliche Flecken darauf. Der Schrei ihres Sohnes, sowie ihr Traum wurden jäh unterbrochen und Blut quoll aus seinem Mund. Jarus brach gerade vor ihren Augen zusammen .

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